Bekanntermaßen stellt der Einwurf eines Schreibens in den Hausbriefkasten des Adressaten durch einen Zeugen die sicherste Zustellungsvariante unter Abwesenden dar. Deshalb werden Kündigungsschreiben an Arbeitnehmer häufig auf diese Weise zugestellt.
Ob die Kündigung am Tag des Einwurfs oder erst am folgenden Tag als zugegangen gilt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nach bisheriger Rechtsprechung ist der Zugang noch am selben Tag bewirkt, wenn der Einwurf vor Abschluss der üblichen Postzustellzeiten erfolge, die allerdings stark variieren können. Das Abstellen auf die örtlichen Zeiten der Postzustellung wird in Rechtsprechung und Literatur immer wieder kritisiert. Insbesondere wird vorgebracht, eine übliche Zeit für die Postzustellung sei nicht mehr feststellbar, da die Deutsche Post AG und andere, private Anbieter von Postdienstleistungen zu unterschiedlichen Zeiten, auch am Nachmittag zustellten. So hat auch das LAG Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - (14.12.2018 - 9 Sa 69/18) die Auffassung vertreten, ein bis 17:00 Uhr eingeworfenes Kündigungsschreiben sei noch am selben Tag zugegangen. Es hat dabei u.a. darauf abgestellt, dass berufstätige Menschen ihren Hausbriefkasten regelmäßig erst nach Rückkehr von der Arbeit leeren würden.
Das BAG (22.08.2019 - 2 AZR 111/19) ist dem nicht gefolgt. Eine schriftliche Willenserklärung sei zugegangen, sobald sie in die Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt sei und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit bestehe, von ihr Kenntnis zu nehmen. Dies sei nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ zu beurteilen. Der Einwurf in den Briefkasten bewirke den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei. Individuelle Verhältnisse des Empfängers oder konkrete eigene Leerungsgewohnheiten spielten dabei keine Rolle. Die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten gehörten dagegen nicht zu den individuellen Verhältnissen, sondern seien geeignet, die Verkehrsauffassung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen. Die Verkehrsanschauung könne dabei regional unterschiedlich zu beurteilen sein, die Antwort könne sich im Laufe der Jahre auch ändern. Das Landesarbeitsgericht habe aber eine geänderte Verkehrsanschauung nicht ordnungsgemäß festgestellt. Auf die übliche Leerung des Briefkastens durch berufstätige Menschen könne dabei nicht abgestellt werden, zumal nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung überhaupt kernerwerbstätig sei und sich darunter zahlreiche Teilzeitbeschäftigte, Nachtarbeitnehmer, Arbeitnehmer in flexiblen Arbeitszeitmodellen oder im Home-Office Tätige befänden. Die Lebensumstände der in einem „Normalarbeitszeitverhältnis“ tätigen Minderheit der Bevölkerung könnten daher die Verkehrsauffassung über die Leerung von Hausbriefkästen der Gesamtbevölkerung nicht bestimmen. Das LAG habe außerdem ausgeblendet, dass nicht alle Erwerbstätigen in Single-Haushalten lebten, sondern die Leerung des Hausbriefkastens auch durch Mitbewohner erfolgen könne. Wenn das Berufungsgericht den Zeitpunkt der Leerung des Hausbriefkastens nach der Verkehrsanschauung auf 17:00 Uhr festlege, sei dies ein willkürlich gesetzter, nicht näher begründeter Zeitpunkt. Dieser ließe sich nicht auf eine gewandelte Verkehrsanschauung zur Leerung von Hausbriefkästen zurückführen, zumal der Kläger im konkreten Fall in Frankreich lebte und das Gericht zu den dort vorherrschenden Üblichkeiten keine Feststellungen getroffen hatte.
Muss der Zugang einer Kündigung zur Fristwahrung noch am selben Tag bewirkt werden, hat der Einwurf in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers deshalb weiterhin vor der dort üblichen Postzustellzeit zu erfolgen. Sofern über die Gewohnheiten der örtlichen Postzusteller - wie in den meisten Fällen - keine näheren Erkenntnisse vorliegen, sollte der Einwurf morgens erfolgen, wobei bis ca. 11:00 Uhr ein Zugang am selben Tag anzunehmen sein dürfte.